Koromogae – Japanische Tradition

.„Warte draußen auf mich“ war die erste Anweisung, die Yoko von ihrer neuen Lehrerin bekam. Die Anrede und der Tonfall ließen dabei keinen Zweifel daran offen, wer ab sofort das Sagen hatte. Sich nochmals verbeugend verließ Yoko den Konferenzsaal und blieb unschlüssig vor der Türe stehen. Sollte sie sich inzwischen umziehen gehen, um so zu demonstrieren, dass sie sehr wohl bereit war, sich dem vorgeschriebenen Dresscode zu unterwerfen? Oder sollte sie sich wenn möglich noch wärmer kleiden, um so zu zeigen, dass ihr bewusst war, welche Strafe sie verdiente? Aber schließlich hatte Ms. Tashiko ihr gesagt, sie solle draußen warten, oder besser, sie hatte es befohlen. Es würde Yoko nicht leicht fallen, die Befehle gerade dieser Frau zu befolgen, denn sie empfand instinktiv eine Abneigung gegen sie. Dabei war ihr nicht klar, ob es diese absolute Unterwürfigkeit war, die sie abstieß, oder ob es etwas anderes war. Irgendwie traute sie dieser Leichtigkeit, mit der die Chefsekretärin die wärmsten Wintersachen trug, nicht über den Weg.

Lange musste sie nicht warten, bis Ms. Tashiko durch die Tür trat. Yoko stand auf, und sah sie abwartend an. „Mitkommen“ kam die kurze Anweisung, und ohne sich umzublicken, ging die eher stämmig wirkende Japanerin durch die Gänge. Zielstrebig suchte und fand sie den Umkleideraum, in dem Yoko ihre Tasche abgestellt hatte. „Wo ist dein Spind mit deinen restlichen Sachen?“ fragte sie in hartem Ton. „Zwei Stockwerke höher“ antwortete Yoko leise. „In Zukunft endet jede deiner Antworten mit Tashiko-sensei. Jedes mal wenn du das vergisst, ist es ein Vergehen, verstanden?“ „Ja … Tashiko-sensei“ antwortete Yoko zögernd. „Hast du noch andere Wintersachen in deinem Schrank“ fragte die Japanerin, während sie die Sachen aus der Sporttasche inspizierte“ „Eine Strickjacke und ich glaube auch noch eine Wollstrumpfhose“ überlegte die junge Frau laut. „Erstes Vergehen“ entschied die Lehrerin streng. „Jedes Vergehen bring dir für 24 Stunden eine zusätzliche Schicht an Ober-, oder Unterkörper ein“ „Aber, das kann doch nicht ihr Ernst sein, in meiner Freizeit kann ich doch …“ „Zweites Vergehen, du sprichst mich nur an, wenn ich dich frage oder dir die Erlaubnis dazu erteile. Wie du dir die Sprecherlaubnis verdienst, sollte dir aus deiner Zeit im Internat noch bekannt sein. So, und jetzt zieh dich um, dann gehst du zu deinem Schrank und holst die Strickjacke und die Strumpfhose. Wir treffen uns in 20 Minuten am Ausgang“ „Ja, Tashiko-sensei“ antwortet Yoko eingeschüchtert und wollte den Raum verlassen. „Halt, vorher gibst du mir noch die Magnetkarte für den Wagen“ befahl die Lehrerin und nahm beides ohne einer Erklärung an sich.

Während Yoko sich umzog, ging die Assistentin, zufrieden mit ihrer neuen Rolle zum Büro des technischen Direktors. Der war nicht anwesend und Ms. Tashiko verlangte ohne großer Vorreden den Zentralkarte für Yokos Wagen und jemanden, der ihre Karte verändern konnte. Jeder Firmenwagen des Konzerns war nach den neuesten technischen Errungenschaften ausgestatte, immerhin war elektronische Steuerung eines der Spezialgebiete des Unternehmens. So öffneten sich die Türen per Fernbedienung, alles Weitere war auf einer Magnetkarte gespeichert, die man vor Fahrtantritt in das Lesegerät schob. Auf dieser Karte war neben der Identifizierung des Wagens jede Grundeinstellung des Wagens gespeichert, sowie alle Vorlieben des aktuellen Benutzers. Der Lieblingsradiosender, die Sitzposition, und natürlich auch die Regelung der automatischen Klimaanlage. So war es dem Konzern ja auch möglich, die Kühlung vor dem ersten Juni per Einstellung zu verändern. Zusätzlich gab es dann noch eine Zentralkarte, mit der man alle Werte wie gewohnt manuell steuern konnte. „Es tut mir leid, aber die dürfen wir nicht herausgeben“ antwortete der junge Techniker auf Ms. Tashikos Wunsch. „Soll ich erst Mr. Nakamiro-San selbst ans Telefon holen, oder genügt es, dass ich seine persönliche Assistentin bin?“ erwiderte die Frau ungeduldig. „Einen Augenblick bitte, ich muss nur noch kurz telefonieren“ „Boss, ich habe da eine Ms. Tashiko, die will eine Zentralkarte für einen Firmenwagen, soll ich sie ihr geben?“ „Hör gut zu“ kam die rasche Antwort per Telefon, „wenn dir dein Job lieb ist, dann gibst du ihr jede verdammte Karte aus dem Raum, und wenn sie alle so umprogrammiert haben will, dass nur noch chinesische Opern aus dem Radio dudeln, dann frag nicht sonder tu es!!“ „Hier, bitte, das ist die Zentralkarte, geben sie mir die andere, und sagen sie, was sie geändert haben wollen“ kehrte der junge Mann kleinlaut zurück. „Das Radio wird deaktiviert, das Handy darf nur noch empfangen, aber keine Telefonate mehr aktiv starten, die Fensterheber stellen sie auf geschlossen, die Sitzlehne auf Senkrecht und den Sitz um 20 Zentimeter nach vorn. Dann zeigen sie mir den Wert der Klimaanlage“ Schnell schob der Techniker die Karte in das Lesegerät, und auf dem Monitor wurden alle Werte sichtbar. „„Größer gleich 21 Grad“ so wie es vorgeschrieben ist, Ma´m“ las der Techniker vor. „Danke ich kann lesen! Was ist der Höchstwert?“ „35 Grad glaube ich“ „Gut, neue Einstellung: Größer gleich 35 Grad, Gebläse auf die Innenraumdüsen und höchste Stufe“ dann speichern sie das alles und locken die Werte. „Das bedeutet aber, dass niemand das Fenster aufmachen kann, und die Klimaanlage auf voller Leistung heizt?“ „Tun sie, was ich ihnen sage! Dann rufen sie den Fuhrparkleiter an, ich brauche einen Wagen, und händigen mir auch für den die Zentralkarte aus. Ich erwarte alle vier Karten samt der Wagenschlüssel in 10 Minuten am Haupteingang“ Die Frau drehte sich ohne auf Antwort zu warten um, und verließ den Raum.

Mit knapper Not schaffte er die Magnetkarten heran, und war verschwunden, kurz bevor Yoko aus dem Lift stieg. Sie trug nun einen ärmellosen Rollkragenpullover aus Kunstfaser „Cashmirlike“ samt dazupassender hellgrauer Jacke, eine leichte Strickstrumpfhose und ein Kostüm aus dunkelgrauem Wollstoff. In ihrer Sporttasche hatte sie eine mittelgraue Strickjacke mit Stehkragen und eine schwarze etwas dickere Strumpfhose, welche sie in ihrem Schrank gefunden hatte. „Zeig mir die Jacke“ forderte Tashiko-sensei ihre Schülerin auf. „Gut, zieh die Kostümjacke und die Schuhe aus, und zieh beides an“ „Hier?“ fragte Yoko verwundert und gleichzeitig geschockt. „Nächstes Vergehen, ich sehe schon, da wartet noch eine Menge Arbeit“ Eigentlich wollte Yoko zu einem Protest ansetzen, doch der stahlharte Blick ihrer Lehrerin ließ sie verstummen. Mitten vor der Portierloge zog sie die Jacke aus, und schlüpfte in die Strickjacke. „Schließen, alle beide!“ Es dauerte eine Weile, bis alle Knöpfe geschlossen waren, und Yoko auch die schwarze Wollstrumpfhose zusätzlich unter den Rock gezogen hatte. Durch den Stehkragen trug Yoko nun zwei warme Krägen am Hals, und sie fürchtete sich schon vor der Fahrt im nicht klimatisierten Wagen. „Und, wie lange brauchst du noch?“ „Wofür, Tashiko-sensei?“ „Deine Kostümjacke liegt noch da herum, anziehen“ Yoko schluckte mehrmals leer. Es war unangenehm eng, aber sie schaffte es dann doch, auch diese Jacke überzuziehen.

„Gehen wir, ich fahre dir hinterher“ „Wohin denn, Tashiko-sensei?“ „Natürlich zu dir nach Hause. Doch Fragen an mich beginnen mit einem leisen „Tashiko-sensei?“ und dann wartest du auf Sprecherlaubnis. Viertes Vergehen. Jetzt aber los. Das heißt Moment noch. Wo ist dein Mantel?“ „Ich habe keinen Mantel im Büro, Tashiko-sensei“ „Und im Auto?“ „Auch nicht, Tashiko-sensei“ „Würdest du in Sapporo im Winter ohne Mantel aus dem Haus gehen?“ „Nein, Tashiko-sensei“ „Na also, in Zukunft trägst du einen Mantel, ist das klar?“ „Ja, Tashiko-sensei“ antwortete die junge Frau verzweifelt. „Für heute werde ich dir meinen borgen“ entschied die Japanerin lächelnd und half ihrer Schülerin in den wattierten Wintermantel. „Mütze, Schal und Handschuhe hast du wohl auch nicht dabei, oder?“ Yoko war nicht mehr im Stande, zu antworten und schüttelte nur noch traurig und verzweifelt den Kopf. „Dann werde ich dir auch da aushelfen müssen“ mit diesen Worten zauberte sie aus ihrer eigenen Tasche eine warme Wollmütze, einen langen flauschigen Wollschal und Handschuhe, alles aus einer Angora-Lambswoolmischung, und verpackte Yoko bis über Mund und Nase. „Übrigens war DAS eben keine anständige Antwort, fünftes Vergehen.“ Mit diesen Worten zog sie Yoko die Kapuze des Mantels über den Kopf, zog an den Kordeln und führte die junge Frau ins Freie.

Bei Yokos Wagen angekommen öffnete diese die Türe mit dem Funksender und ließ sich von ihrer Lehrerin die Magnetkarte geben. Sie steckte den Zündschlüssel ins Schloss und die Karte ins Lesegerät. Mit dem Starten des Motors verstummte das Radio, der Sitz fuhr nach vorn, und die Fenster schlossen sich automatisch. Bevor Yoko noch wusste, wie ihr geschah, schloss Tashiko-sensei die Fahrertüre, und genoss den Anblick der wollig verpackten jungen Frau. Diese hingegen hatte nichts mehr, was sie hätte genießen können, den der Wert im Display der Klimaanlage und das auf voller Leistung arbeitende Gebläse erklärten ihr, was ihrer Lehrerin mit der Magnetkarte getan hatte. Während diese zu ihrem Wagen ging, mit der Zentralkarte alle Vorgaben löschte, und sich die Klimaanlage auf den kältesten Wert stellte, freute sie sich schon darauf, Yoko nach einer möglichst langen Fahrt daheim zu "betreuen".